Beschlussvorlagen sind kein Buch mit sieben Siegeln mehr – und die Apokalypse blieb aus.

Wenn die Mitglieder des Borsdorfer Gemeinderates zu ihren Beratungen zusammenkommen, müssen sie das nicht unvorbereitet tun. Eine Woche vor der Sitzung erhalten sie die Beschlussvorlagen in digitaler Form. Weniger bekannt ist, dass seit einiger Zeit auch interessierte Bürger Zugang zu diesen Unterlagen haben und sich so etwas genauer über die anstehenden Beschlüsse informieren können.

Die Sitzungen des Borsdorfer Gemeinderates zeigen zumeist ein optisches Ungleichgewicht: Auf der einen Seite des Raumes sitzen 16 Gemeinderäte, die Bürgermeisterin und Mitarbeiter der Verwaltung, auf der anderen das Publikum. Letzteres ist in der Regel zahlenmäßig eher unterlegen. Sofern kein Tagesordnungspunkt mit hoher persönlicher Betroffenheit das Schwarmverhalten aktiviert wird oder keine Wahl ins Haus steht, kann es schon mal einstellig zugehen auf den Besucherstühlen. Nun mag man über Desinteresse und Politikverdrossenheit nachsinnen, doch im Vertrauen: Wer sich unvorbereitet in eine Gemeinderatssitzung begibt, wird nur einen begrenzten Erkenntnisgewinn erzielen. Und ob die Aussicht auf einen (immerhin gepolsterten) Stuhl im Ratssaal genug Lustgewinn verspricht, um Menschen aus dem heimischen Wohnzimmer zu locken, darf zumindest angezweifelt werden.

Der Autor dieses Beitrages kennt das aus eigenem Erleben, und zwar von beiden Seiten des Sitzungssaales. Als Gemeinderat konnte man sich in das Thema einarbeiten und ggf. vor Ort anschauen, was zur Abstimmung stand. Dazu kam im Einzelfall die eine oder andere hintergründige Information aus der Verwaltung. Als Gast hingegen kannte man meist nur die wenig aussagekräftigen Tagesordnungspunkte. Von Fall zu Fall gab’s noch eine knappe Erläuterung von Seiten der Verwaltung, dann folgte „Fragen? Nein? Dann kommen wir zur Abstimmung …”. Wer das mehrfach erlebt hat, muss leidensfähig sein, um sich Monat für Monat erneut zu motivieren, als Gast im Saal Platz zu nehmen.

Die Begründungen für das „Geheimwissen” der Gemeinderäte waren mitunter erstaunlich. In Markranstädt wurde dem Verfasser dieses Beitrages vor mehreren Jahren auf Anfrage unter Verweis auf einen Kommentar zur sächsischen Gemeinderordnung mitgeteilt, dass „die vorzeitige Publizität der Beschlussvorlagen zur Einflussnahme der Bürger auf die Abgeordneten führen könne”. Im Klartext: Wenn Ottonormalbürger weiß, worüber abgestimmt werden soll, könnte er auf die Idee kommen, darüber mit „seinem” Abgeordneten zu reden.

Zumindest in Borsdorf ist diese Lesart längst Geschichte. Mit dem Wechsel im Bürgermeisteramt wurde auch das sprichwörtliche Buch mit sieben Siegeln geöffnet und siehe, die prophezeite Apokalypse blieb aus. Die Vorlagen für die öffentlichen (!) Tagesordnungspunkte der Ratsversammlungen und Ausschusssitzungen sind über das Ratsinformationssystem der Gemeinde bereits sieben Tage vor der Beratung einsehbar. Zum selben Zeitpunkt erhalten auch die Mitglieder des Gemeinderates Zugriff auf die Daten. Es gibt also zumindest im Hinblick auf die Beschlussvorlagen kein Geheimwissen mehr.

Die nächste Sitzung des Gemeinderates findet übrigens am 24. April 2024, 18.30 Uhr, im Ratssaal der Gemeinde Borsdorf statt. Wenn man weiß, worum es geht, ist „sowas” durchaus interessant. Es lohnt sich durchaus, nach der obligatorischen Bürgerfragestunde zu Beginn der Beratung im Saal zu bleiben.  -ad

Beitragsfoto: Das Buch mit den sieben Siegeln in der Sankt-Salvator-Basilika Prüm, Thomas Hummel / CC BY-SA 4.0

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